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  Unsere Lebensgeschichte...
 

Unsere Lebensgeschichte

 

Nun, da ich mal denke, die meisten haben zuerst die Lebensgeschichte von Alex gelesen, werde ich wohl keine lange Einführung mehr machen müssen. Meine Versionen und meine Erlebnisse dazu, konzentrieren sich schon von vorne weg auf die Vorfälle, die mein Zwilling hier aufschrieb. Es ist halt nur aus meiner Sicht. Die Gründe, warum er geschlagen wurde und ich nicht, gehen aus seiner Geschichte hervor, wodurch ich sie hier nicht noch einmal nennen möchte. Trotzdem wird es wohl ein paar Wiederholungen geben, da ich sonst wirklich keinen richtigen Text verfassen könnte…

 

Jedes Mal wenn unser Vater erneut auf Alex losging, war ich dabei und es kam mehr als häufig vor, dass ich wünschte, es nicht zu sein oder ebenfalls geschlagen zu werden. Zusehen zu müssen, wie der Bruder, der einen Teil von sich selbst bildete, täglich verprügelt wurde, obwohl man vielleicht selbst und alleine schuldig war und nicht er, war mehr als grauenhaft und letztendlich tat es einem in der Seele so weh, wie es Alex körperlich  und seelisch zugleich schmerzte. Anfangs, das heißt, als wir noch ziemlich klein waren, verloren wir trotzdem nicht die Freude an den Dingen. Schließlich gab es auch noch Lena, welche einen aufmuntern konnte und die dafür sorgte, dass man auch manchmal was unternahm. Sie wusste nichts von den Vorfällen, aber irgendwie kamen wir auch nicht auf die Idee, mit ihr darüber zu sprechen. Alex wahrscheinlich aus Angst vor weiteren Schlägen und bei mir war es… denke ich, derselbe Grund. Wir sahen es einfach als strenge Familie an, die jedoch auch noch einen Teil Gutes in sich hatte. So waren auch wir halt nur ganz normale Jungs, die mal im Zimmer tobten oder über die Zimmerlautstärke kamen, wegen irgendeinem Spiel. Doch eigentlich hätte man die Zeit stoppen können; waren wir auch nur für eine Sekunde etwas lauter, obwohl wir sonst trotz allem noch ziemlich ruhige Leutchen waren, war unser Vater in den nächsten zwei Sekunden oben.

 

Lena war fast den ganzen Tag weg. Ich weiß nicht mehr, als was sie damals arbeitete. Auf jeden Fall war sie auf einem Karrieretrip. Unser Vater hingegen war fast den ganzen Tag bei uns, da er von zu Hause aus arbeiten konnte. So konnte er die Erziehung also ganz nach seinen Regeln anfertigen.

 

So kam er also die Treppen zu unserem Zimmer hoch gestampft, riss die Tür auf und schrie uns an, wir sollten gefälligst unsere Schnauzen halten. Daraufhin gab es ca. 5 Sekunden Schweigen, während er echte Teufelblicke fallen ließ. Enden tat dieser Blick dann auf Alex, der nur mit großen Augen dasaß.  Sofort wurde er hochgezogen und 50 Fragen folgten auf einmal: „Bist du wieder daran schuld? Willst wieder eine Tracht Prügel oder was? Musst du deinen Bruder immer anstiften? Machst du nicht schon genug Ärger?“ und so weiter und so fort. Antworten wollte er natürlich gar keine bekommen. Es war ihm auch völlig egal, ob ich oder mein Zwilling sagte, dass ich schuld sei. Die Hand erhob sich immer… egal, was man machte. Wäre ja schön gewesen, wären es Ohrfeigen geworden. Aber wenn selbst ich solche ab und zu erhielt, falls ich mich zu sehr für Alex einsetzte, wie sollte er sie dann auch bekommen? Nein, er brauchte mehr. Zumindest nach der Meinung unseres Vaters. Er hat ihn regelrecht zusammengeschlagen und mit Dingen beworfen. Ich stand immer nur daneben, wusste nicht, was ich machen sollte und bis heute komme ich mir deswegen mehr als mies vor. Na gut, damals war man vielleicht auch noch zu jung, um irgendwie richtig zu schalten, aber das ist auch keine Entschuldigung. Besonders nicht, wenn man sich einmal das Bild vor Augen führt, was ich ständig sah; ein ziemlich großer Mann gegen einen 4-jährigen. Was mit anderen Worten bedeutet: Alex war danach eigentlich kaum noch das, was man unter „normal“ verstehen konnte.

 

Immerhin konnte ich ihm danach etwas helfen. Und die meiste Zeit sah ich es auch als den Sinn meines Lebens an, meinen Bruder so gut ich konnte zu unterstützen und zu trösten, damit er sich nicht aufgibt. Doch warum musste das nur der Anfang von allem sein?! Ich weiß es bis heute nicht und letztendlich macht es mich wahnsinnig. Als die Haustür wie Alex schon erzählte, damals ihr Glas verlor, war das eigentlich das Zeichen für die Zukunft. Mit diesem Tag endete unter anderem auch die Glaubwürdigkeit, die wir bis dahin vielleicht von Lena bekommen hätten. Sie wusste, dass Alex sich mit seinem Vater nicht verstand – zumindest glaubte sie es zu wissen. Ich war immer wieder erstaunt, wenn ich sah, wie gut Antonio schauspielern konnte. Während Alex sich schon längst in unser Zimmer zurückgezogen hatte, hörte ich oft noch die Versionen unseres Vaters, wenn etwas kaputt war (die Tür, Gläser, Bücher…). Lena war 100%ig von dem überzeugt, was er sagte und da er sie zusätzlich auch noch einlullte, wäre für unsere Meinung von den Dingen nicht mal eine Chance geblieben. Daraufhin verzog ich mich dann meistens auch. Ab und zu entdeckte unsere Mutter blaue Flecken oder einfach empfindliche Stellen an Alex. Verwundert kam jedes Mal aufs Neue die Frage, woher er sie habe oder warum es ihm so wehtat. Aber mein Zwilling schwieg immer. Selbst wenn sie die Frage wiederholte, antwortete er nicht, sondern sah nur seitlich weg. Guckte sie dann mich an, zuckte ich nur mit den Schultern, weil ich Alex auch nicht die Antwort vorweggreifen wollte. Doch oft ging unser einseitiges Gespräch gar nicht bis zu dieser Stelle, denn hörte unser Vater von Lenas Entdeckung und den folgenden Fragen, war er sofort zur Stelle und beantwortete sie mit einer schnellen Lüge. Alex war ja eh ein ziemlich wilder Junge. Die Flecken kamen schließlich nur davon, dass er sich immer mit mir messen wollte und er dabei ab und zu was abbekam. Merkwürdig nur, dass ich dafür gar keine hatte. Aber das übersah Lena bereitwillig.

 

Der 03.01.1996! Eine Straße weiter von uns wohnte ein Freund von Alex und mir. Da unser Geburtstag gerade vorbei war und Lena und Antonio keine Geburtstagsfeier duldeten, wollten wir uns wenigstens mit diesem Freund treffen. Doch mein Bruder kämpfte schon seit zwei Tagen mit der Grippe. Unser Vater wollte, dass er zu Hause bleibt. Ich sollte gehen. Er sagte mir am Abend zuvor jedoch, dass Alex morgen mal was erleben könnte, da er ja wohl kaum mit zu unserem Freund kommen könnte, so krank wie er ist. Ich wollte ihn darüber ausfragen, was er damit meinte, aber er blieb natürlich am längeren Hebelende und sagte zu mir keinen weiteren Ton wegen der Sache. Als ich dann am nächsten Tag gehen sollte, versuchte ich mit allen Mitteln zu Hause bleiben zu können. Ich stellte mich ebenfalls krank, ich war so bockig wie ich konnte, damit ich vielleicht zur „Strafe“ nicht gehen brauchte und ich bettelte, was das Zeug hielt. Mir war furchtbar unwohl bei der Tatsache, dass ich Alex alleine mit unserem Vater lassen sollte. Aber einen Ausweg stellte letztendlich nichts von meinen Versuchen dar. Kaum ging dann die Haustür hinter mir zu, sah ich auch schon Paco auf mich zusteuern. Paco war der anscheinend beste Freund und Bekannte von meinem Vater. Er war öfter mal zu Besuch. Mein Vater und er hatten viele Gemeinsamkeiten. So waren sie beide sehr aggressiv und fanden in Gemeinheiten ihre Freude.

 

Als ich eine Stunde früher als geplant wiederkam, war alles im Haus still. Lena war noch nicht da, mein Vater saß im Wohnzimmer und las die Zeitung, während man von Alex überhaupt nichts sah. Ich blieb einfach in Jacke und Schuhen da stehen, weil mir das ganze ziemlich ungeheuer vorkam. Dann gab es plötzlich ein paar Geräusche. Unser Vater lachte leise in sich hinein und plötzlich weckte mich Paco aus meiner Starre auf, der von irgendwo auftauchte, mir an die Schulter fasste ohne mich anzusehen und ohne stehen zu bleiben und mit den Wörtern: „Mach’s gut, Pedro.“ aus unserer Wohnung verschwand. Ich rannte nach oben und während Antonio wohl aufgesprungen war und mir irgendwas nachrief von wegen, ich sollte gefälligst die Schuhe ausziehen, stand ich schon längst oben, öffnete die Tür und sah einen Alex vor mir, der sich auf sein Bett gelegt hatte und so flach atmete, dass man dachte, er hätte es glatt vergessen. „Alex?“. Er drehte sich um und sah mich mit relativ ausdruckslosem Gesicht an. Dann setzte er sich hin. Ich ließ die Jacke in eine Ecke des Zimmers fliegen und nachdem auch die Schuhe endlich weg waren, setzte ich mich zu ihm. Er lehnte sich bei mir an und schon da bildete sich bei mir ein Kloß im Hals. Ich nahm ihn in den Arm und als dann plötzlich irgendwas Kleines, Nasses auf meinen Arm tropfte, wusste ich, dass es zu Recht war. Aber was los war, sagte er mir nicht. Letztendlich wollte ich ihn damit auch nicht nerven und beließ es dabei. So verzog ich mich mit ihm nur unter die Bettdecke und versuchte ihn dazu zu bringen, an etwas anderes zu denken. Es müssen mehrere Stunden vergangen sein, in denen nichts weiter geschah. Unser Vater ließ uns merkwürdigerweise in Ruhe und so herrschte diese ungewohnte, fast unheimliche Stille im Haus noch bis zu Lenas Kommen. Alles, was ich in der Zwischenzeit vernahm, war das leise Weinen meines Bruders und der heftige Regen, der damals fiel. Am Liebsten hätte ich die ganze Zeit mit meinem Kopf gegen die Wand geschlagen. Ich war daran schuld, dass Alex sich so mies fühlte… ich war die Person die dafür verantwortlich war und ich hatte keine Ahnung, wie ich das jemals hätte gut machen können…!

 

Am Abend kam dann Lena. Sie war wie immer fertig mit den Nerven, sie merkte nichts. Das einzige, was an diesem Tag noch geschah, war, dass unser Vater Alex noch mal anschrie, weil er keinen Hunger hatte. Ich bot an, dass ich es esse, weil Alex sowieso schon down genug war und zum Glück klappte mal ein Versuch, da mein Vater vor Lena ja auch noch irgendwie den netten Vater spielen musste. Obwohl man meiner Meinung nach genau sehen konnte, was er in Wirklichkeit dachte.

 

Seitdem passierte es öfter, dass Alex sich dermaßen zurückzog. Auch, wenn an diesen Tagen die Schläge nun nicht mehr ausfielen. Aber mein Bruder wollte mir nie erzählen, was geschah. Ich versuchte ihn nie wieder alleine zu lassen, aber es klappte nie wirklich… abends war es immer sehr schwierig, weil ich bei Lena und ihren neugierigen Fragen keine Begründung fand, warum ich dabei sein wollte. Mein Vater wollte mich anscheinend aus der Angelegenheit heraushalten, weil er vielleicht meinte, ich könnte dann doch etwas darüber erzählen. So hielt es dann wohl die nächsten 4 Jahre an. Und mit jedem Male, wo mein Vater Alex da antat und ich nur Tränen sah oder ein düsteres Gesicht, jedoch niemals eine Antwort hörte, wuchsen in mir die Schuldgefühle und die Hilflosigkeit. Ich wollte ihn so gerne beschützen oder ihm zumindest irgendwie soweit helfen, dass er nicht immer weinen musste und es vielleicht schaffte, mir den Grund zu sagen, aber ich wusste nicht wie! Ich versuchte es mit allem was mit einfiel… doch unser Vater musste ihm das Schweigen schon beigebracht haben. Selbst, wenn mein Bruder nach ihrem Zusammentreffen nur einzelne neue blaue Flecken hatte.

 

Irgendwann im Sommer 1998 war unser Vater dann in Andorra de la Vella. Ich glaube, es war das erste Erlebnis, was ich als „Urlaub“ bezeichnen könnte. Drei Tage, die mehr als nur ungewöhnlich waren. Es war ruhig, friedlich und wenn man mal alleine im Zimmer saß, ohne Angst zu haben, Alex käme gleich wieder mit neuen Verletzungen an oder der Vater schreit gleich wieder los, dachte man wirklich, die Bewohner des Hauses seien ausgestorben. Aber eigentlich wirkte es auf mich eher so ein, als sei die Zeit stehen geblieben oder man in die Vergangenheit gereist. Draußen schien die Sonne und in nicht allzu großer Entfernung hörte man leise Stimmen. Nun ja, am dritten Tag bekam dann Lena die Nachricht, unser Vater hätte irgendetwas gerettet, bewacht… ich kriegte es damals nicht so mit. Wir wurden zu einem Essen eingeladen und da es eine höhere Gesellschaft war, musste es auch fein und ordentlich ablaufen. Die Erwachsenen hatten eine Tochter, Elisabeth. Als Lena, unser Vater und die Fremden dann alleine sprechen wollten, verbrachten wir drei die Zeit in einem anderen Raum. Das Gezanke war schon vorauszusehen. Sie war auch eine Zicke der Oberklasse. Ihre scharfen Sätze besonders Alex gegenüber ließen mich wieder auf den Schutzposten gehen. Ich hatte furchtbare Sorge, sie könnte ihn solange provozieren, bis ihm etwas über unseren Vater herausrutscht oder sie ihn an seinem empfindlichen Punkt erwischt, sodass er wieder ewig nachdenkt, weint und ich ratlos dastehe. Doch zum Glück fuhren wir bald darauf wieder nach Hause und die Erwachsenen waren in der Nähe, wodurch sie keinen Ton mehr äußerte.

Wir fuhren noch öfter zu Elisabeth und ihren Eltern, denn mein Vater fand in ihnen wieder jemand Neuem, bei dem er sich einschleimen konnte. Alex und ich waren immer dabei, weil er uns im Auge haben wollte. Lena blieb meistens fort.

 

Die Zusammentreffen mit Elisabeth – kurz Elis – waren meist der blanke Horror. Etwas sarkastisch betrachtet hätte man sagen können, sie war die Vertretung für Antonio, welcher diese Zeit über tiefe Gespräche mit den Erwachsenen führte. Elis legte es glatt darauf aus, sich mit uns zu streiten. Irgendwann gingen wir dann auch darauf ein. Das Haus war groß genug, um einer Ecke finden zu können, wo man nicht dauernd flüstern musste. Elis war eine sehr hübsche Person, wodurch man ihr ihre Spitzzüngigkeit kaum zutraute. Ich wusste nicht genau, warum sie so gegen uns war, doch langsam und allmählich wurden unsere Streitereien so lächerlich, dass wir drei schon selbst darüber lachen mussten. Man schaffte es, sachlich miteinander zu reden und lernte sich endlich richtig kennen. Am Ende stellte sich heraus, dass man mehr gemein hatte, als erwartet. Wir freundeten uns mit ihr an und sie hatte die Gabe, uns dermaßen von den häuslichen Problemen abzulenken, dass selbst Alex es beinahe schaffte, sie völlig zu vergessen. Desto mehr Zeit wir mit Elis verbrachten, desto mehr Spaß hatten wir miteinander. Doch sobald unser Vater das herausfand, versuchte er den Kontakt zu beenden. Er meldete sich nicht mehr bei den Eltern von Elis und verbot auch uns, noch in irgendeiner Form mit dem Mädchen in Verbindung zu bleiben. Nur erzählten mein Zwillingsbruder und ich schon vorher Lena von unserer Begeisterung. Ausnahmsweise setzte sie sich für uns ein und wir konnten uns ein bis zweimal im Monat noch sehen… doch egal, wie sehr man sich auch mochte, man erzählte auch ihr nie von den Geschehnissen. Wenn sie bemerkte, dass sie bei Alex auf einen „gefährlichen“ Punkt stieß, entschuldigte sie sich schnell und wechselte das Thema. Sie wollte wohl keine neugierigen Fragen stellen…