* Gefällt Dir diese Homepage oder meinst Du es besser zu können? Erstelle deine eigene kostenlose Homepage jetzt! *

  Meine Lebensgeschichte...
 

Meine Lebensgeschichte

 

 

Meine echte Mutter starb kurz nach der Geburt von meinem Zwillingsbruder und mir. Da ich die jüngere Hälfte bin, gab mein Vater mir die Schuld an ihrem Tod. Er meinte immer – und tut es wahrscheinlich immer noch: „Wärst du nicht da, könnte sie noch leben!“. Die wirkliche Ursache für den frühen Tod meiner Mutter (Sabine) war allerdings ein Pfusch der Ärzte. Mein Vater wusste dies die ganzen Jahre über, verlegte seinen Hass jedoch auf mich. Ich selbst erfuhr von dem eigentlich Grund erst vor ein paar Jahren. Solange gab ich mir daher auch selbst die Schuld an ihrem Sterben. Mein Vater hat mir diese Schuld nie verziehen, wodurch seine strafenden Schläge, die selbst bei ehrlichen Kleinigkeiten auftraten, zu einer Alltäglichkeit wurden, vor der man sich schon vor dem Aufstehen fürchtete. Meinen Bruder, Pedro, ließ er in Ruhe. Er trug nicht die Verantwortung auf sich. Durch ihn wäre laut meinem Vater nie etwas passiert. Aber ich war halt auch noch da…! Meine Mutter konnte letztendlich noch die Entscheidung zwischen uns oder ihr treffen. Sie entschied sich für uns, gegen den Willen ihres Mannes, unseres Vaters. Trotzdem er den Tod von Sabine nie wirklich ganz verkraftet haben zu scheint, hat er schon kurz darauf die beste Freundin unserer Mutter geheiratet. Lena. Dass sie nur unsere Stiefmutter war, erfuhren wir auch erst mit 14.

 

Es kam immer wieder zu großen Konflikten zwischen meinen Vater und mir. Meistens wegen ganz einfachen Dingen. Zum Beispiel, wenn ich zu laut war. Dann kam er ins Zimmer rein, zog einen hoch, schrie los und schlug auf einen ein. Es waren nicht nur einfache Ohrfeigen oder etwas dieser Art… er benutze seine Fäuste, trat und warf Sachen nach einem. Er benutze alles, was er gerade zur Hand bekam. Eine andere Sache war es, als ich mal von einem Freund zu spät nach Hause kam. Es waren gerade mal 5 Minuten, doch mein Vater rastete vollkommen aus… am Ende verlor unsere Haustür sogar ihr Glas… Lena erzählte er anschließend, er hätte draußen gearbeitet und dabei wäre ihm leider die Tür zugefallen. Sie glaubte ihm. Sie glaubte ihm immer! Wieso auch nicht. Ich traute mich nie ihr etwas zu sagen. Da sie immer bis spät abends arbeitete, konnte sie es auch nie „live“ erleben.

 

Vor Freunden der Familie, dem Postboten, Nachbarn und Arbeitskollegen trat mein Vater so auf, dass wirklich jeder denken musste, wir wären eine glückliche Familie. Keiner schöpfte Verdacht. Wenn man blaue Flecken oder Ähnliches an mir sah, lag das angeblich daran, dass ich mich so viel aus Spaß mit Freunden prügeln und messen würde. (Ich tat es zu dieser Zeit noch nie.)

 

Der Einzige, der Bescheid wusste und sich für mich einsetzte, war Pedro. Doch was sollte ein 4-jähriger machen?! Es war eine tägliche Wiederholung. Es reichte schon, wenn man keinen Hunger verspürte oder müde war. Aber gerade das wollte er auch. Es machte ihm Freude, auf einen einzuschlagen oder anderes. Mit der Zeit ließ er sich immer mehr Freiheiten… wie zum Beispiel als ich gerade 6 wurde... eigentlich hatten Ped und ich vor, uns bei einem Freund zu treffen, aber da ich leider einen Tag davor krank wurde, sollte er alleine hingehen. Er versuchte sich zu weigern, weil er wusste, war passieren würde, doch unser Vater drängte ihn und als er weg war, kam der beste Freund meines Vater zu uns. Paco war genauso, wie unser Erzeuger.

 

Doch plötzlich waren sie ganz freundlich! Sie fragten mich, ob wir zusammen ein Video sehen wollten und meine Antwort war natürlich ja, da ich wirklich so naiv war und dachte, sie meinten einen Kinderfilm. Nur stellte es sich als etwas anderes heraus. Ich verstand zu dieser Zeit den Film glücklicher Weise nicht... heute weiß ich, dass es ein reiner Pornofilm war. Mein Vater setzte mich auf seinen Schoß und ich fand es schön, bei ihnen ohne Ärger sein zu können. Da war es schon unwichtig, was in dem Film geschah. Jedoch fing mein Vater nach und nach an, mir meine Sachen auszuziehen, bis ich am Ende völlig nackt bei ihnen sitzen musste. Es war mir furchtbar unangenehm, aber ich traute mich nicht, etwas zu sagen. Nach einer Weile fingen er und sein Freund, Paco, auch an mich überall anzufassen. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich fing an zu zappeln und wollte weg, aber sie ließen mich nicht. Ich gab nicht auf, bis mein Vater wieder damit begann mich anzuschreien. Aus Angst wieder Schläge zu bekommen hielt ich also still und hoffte, dass es endlich enden würde. Etwa zwei Stunden später war ich endlich wieder frei. Ich war so eingeschüchtert und mir das Erlebnis so peinlich, dass ich nicht mal meinem Bruder davon erzählte. Bis zu dem Tag, an dem sich mein gesamtes Leben veränderte, erfuhr er nichts davon.

 

Es wiederholte sich öfter... nicht unbedingt bei Videos, die mein Vater mich am Ende zwang zu gucken, sondern fast überall. Der schönste Ort an dem er mich abfangen konnte, war für ihn das Badezimmer. Dort konnte er mich auch heimlich berühren, für den Fall, dass meine Mutter da war. Sie war zu erschöpft, um irgendetwas zu merken. Später fing er auch an mich so zu fotografieren. Bis heute weiß ich nicht, was mit diesen Bildern passiert ist. Wenn ich damals gewusst hätte, dass dies nur die Vorläufer sein sollten, hätte ich mich wohl schon längst jemanden anvertraut. Zumindest meinem Bruder. Ihm konnte und kann ich auch immer noch voll vertrauen.

 

Dann kam Elis ins Spiel, als wir gerade 8 Jahre alt waren. Sie lernten Ped und ich dank meines Vaters kennen, ob man es glaubt oder nicht! Er meinte einmal, für drei Tage nach Andorra la Vella zu müssen – geschäftlich. So etwas kam zwar sehr selten vor, war aber durchaus möglich. Einen Tag später mussten wir jedoch eine interessante Geschichte hören: Unser Vater hatte sehr wichtige Papiere und Verträge von der Familie eines Fürsten vor einem Diebstahl gerettet. Wer hätte das gedacht? (Einige Jahre später stellte sich jedoch heraus, dass er etwas ganz anderes mit ihnen vorhatte. Aber darum kümmerte sich dann auch keiner mehr.) Zum Dank wurden Lena, unser Vater und wir zu einem Besuch dieser Personen eingeladen. Dort lernten wir die Tochter der Familie kennen, Elis. Am Anfang verstanden wir uns kein Bisschen, aber dann entstand eine sehr schöne Freundschaft, wo ich seit ziemlich langer Zeit ab und zu mal wieder zusammen mit meinem Bruder lachen konnte. Auch wenn wir sie nur sehr selten sehen durften, da es unser Vater meistens verbot. Doch sie konnte einen am Leben halten.

 

Meinem Vater interessierte an Ped und mir nur die Schule. Die einzige Sache, die ihm wichtig war. Dort war er auf jeder Besprechung, bei jeder Veranstaltung und setzte sich für alles ein. Doch Ped und ich schätzen, es war nur, weil er meinte, so beweisen zu können wie sehr er sich doch um uns kümmert. Er drillte uns auf gute Zensuren. Jede Arbeit, jedes Referat musste eine 1 vorweisen. Da wir beide schon im Allgemeinen sehr gut waren und durch die Angst vor Ärger uns besonders anstrengten, bekam er seinen Willen. 3 ½ Jahre schrieben wir beide nie eine andere Zensur als die gewünschte 1. Doch dann kam das Jahr 2000, man war 10, hatte schlecht geschlafen und war nicht darauf erpicht, die allerbesten Ziele zu erreichen. Man war einfach nicht fit. So gab es keine Eins, sondern eine 2-. Nachdem ich dieses Ergebnis in der Hand hielt, wurde mir wieder bewusst, was ich dort getan hatte. Ich überlegte, was wohl geschehen würde, wenn ich die Note einfach verschweigen bzw. verheimlichen würde. Obgleich mich Ped nie verraten hätte, hatte ich furchtbare Panik davor, was wohl geschehe, wenn er es irgendwann herausfinden würde. So zeigte ich sie ihm also.

 

Es schien der Weltuntergang nahe zu sein. Mein Vater zerriss die Arbeit, spuckte auf sie, schrie und trotz seiner unglaublichen Wut über eine so schlechte Zensur, schaffte er es mir zu erklären, dass eine 2- fast eine 3 ist und damit schon an einer 4 grenzt. Er schrie noch lauter und haute alles kurz und klein was er in die Finger bekam. Bis heute weiß ich nicht, wie ich auf diese Idee kam, doch ich wagte es ihm zu widersprechen. Ich glaube, ich wollte seine Enttäuschung über die Note auf diese Weise nur irgendwie lindern. Nur kaum waren die Wörter über die Lippen gebracht, schon bereute man sie, denn Antonio explodierte fast. Als er dann mit Paco ein Bier nach dem anderen leerte, verzogen Pedro und ich uns lieber in unser Zimmer. Wir hofften, er würde sich wieder beruhigen, aber er tat es nicht. Eine halbe Stunde später kam er nach oben und befahl Ped dort zu bleiben, sonst könne er was erleben. Ped gehorchte. Mich zog er mit sich in den Keller. Dort stand unter anderem auch noch ein älteres Bett, da wir den Keller mal ausbauen und anschließend vermieten wollten... tja, da waren wir nun und ich hatte mal wieder absolut keine Ahnung, was kommen sollte. Während mein Vater mich festhielt, kam Paco dazu. Er schloss in aller Ruhe – was mich noch mehr beunruhigte – die Tür ab, machte eine kleine Lampe an. Anschließend begann der Freund meines Vaters damit mich auszuziehen. Nie im Leben hätte ich es noch einmal gewagt, etwas dagegen zu sagen oder mich zu wehren… sie legten mich aufs Bett, schlugen beide auf mich ein und fingen erneut damit an, mich überall unangenehm anzufassen. Es war mir so peinlich, es war so anekelnd, dass ich am liebsten einfach weggelaufen wäre. Dabei sollte diese Bestrafung anscheinend nicht mal genügen… zum Schluss, als ich dachte, sie wären endlich fertig, wurde es nur noch schlimmer. Sie zogen sich aus und zwangen mich dazu, ihr Geschlecht zu berühren… ich konnte mich nicht verteidigen, so musste ich gehorchen. Nach ein paar Minuten hielt ich es einfach nicht mehr aus und fing an zu weinen. Mein Vater meinte, ich Memme sollte härter sein. Etwas verkraften müsste ich schon, schließlich wäre ich ein Mann. Ich versuchte mich zu beherrschen, aber ich schaffte es einfach nicht. Antonio schien es zu reichen. Er befahl mir, mich auf den Bauch zu legen. Ich tat was er wollte, auch wenn ich nicht wusste wozu. Die Antwort sollte bald folgen…

 

Nach einigen harten Schlägen auf den Rücken fing es an. Ich weiß nicht, von wem sie kamen, aber ich schien die Erwartungen zu erfüllen, als ich daraufhin meinen Kopf vergrub… zwei Minuten folgte nichts. Doch dann legte er sich auf mich… er vergewaltigte mich… zusammen mit Paco wechselte er sich immer wieder ab… es tat so weh… körperlich wie seelisch. Ich heulte nur noch stärker und ich schrie. Nach einer Weile hielten sie mir den Mund zu und so war es zwecklos. Ich kann heute nicht mehr sagen, wie lange es dauerte, doch es waren mindestens Stunden. Danach ließen sie mich noch dort unten, bis ich mich halbwegs beruhigte und mein Gesicht nicht mehr so verweint aussah. Beide drohten mir, wenn ich meinem Bruder oder ganz besonders Lena etwas erzählen würde, würde ich nicht mehr länger unter den Lebenden weilen.

Ich trottete langsam wie betäubt nach oben.

 

Ich saß im Zimmer und gab keinen Laut von mir. Am liebsten wäre ich unter die Dusche gerannt und hätte andere Sachen angezogen. Ich kam mir so dreckig vor… doch ich durfte ja niemanden Verdacht schöpfen lassen. So vermied ich jede weitere Bewegung. Jedoch schwor ich mir an diesem Tag, nie wieder meinem Vater in irgendeiner Weise zu widersprechen oder jemals eine schlechte Note mit nach Hause zu bringen. Das Ergebnis war bis dahin das Schrecklichste, was ich jemals erlebt hatte. Ich wusste, dass ich daran schuld bin, dass mich mein Vater schlägt. Doch fand ich seine Bestrafung heimlich im Innersten doch nicht gerecht. So versuchte ich mir manchmal einzubilden, ich könnte ihm verzeihen. Die Illusionen, dass es mir absolut nichts ausmachen würde, blieben nur noch bis zu diesem Tag aufrecht. Von diesem Moment an zerfielen sie. Ich konnte meine Wut und Traurigkeit über ihn halbwegs verdrängen. Die Schläge, das Einsperren in dunkle Räume und die Garage, das Geschrei, das Bewerfen, die Berührungen, das Baden in eiskaltem Wasser mit dem Spiel, wer die Luft solange anhalten könnte, bis man nicht mehr zappelt. All das konnte ich zwar mit viel Mühe, doch mit Erfolg für manche Minuten wegsperren. Doch nach diesem Erlebnis… ging es nicht mehr. Noch ein Grund wofür ich mich selbst verdammte. Was brachte ich denn auch nur Unglück und veranlagte meinen Vater zur Bestrafung? Ich war schuld und das würde sie nie ändern. Meine damalige Meinung.

 

Ped sah mich die ganze Zeit an und wollte wissen was los war. Ich erzählte ihm nur, sie hätten mich verprügelt. Ich wusste, dass er es nicht glauben würde, doch er akzeptierte auch, dass ich nicht darüber reden wollte. Er sprach nett zu mir und wir einigten uns darauf, doch mal mit Lena zu reden, wenn sie alleine da war. Natürlich nur im begrenztem Sinne. Nur über das Geschrei und ein paar Schläge. Hätten wir mehr gesagt und er hätte es herausgefunden, wäre das fatal gewesen. Schon bald gab es sogar eine Möglichkeit, mit unserer Steifmutter zu reden, da mein Vater dringend zu einer kurzfristigen Besprechung musste. Also nahmen wir unseren Mut zusammen und gingen zu ihr hin. Sie setzte sich mit uns zusammen und hörte gespannt zu. Nach ihrem Gesicht zu schließen, schien sie nicht gerade glücklich darüber zu sein, dass wir ihr so etwas erzählen mussten, doch ich dachte, sie würde nun etwas unternehmen.

 

Als die Geschichte von meinem Zwilling und mir zu Ende war, sagte sie jedoch: „Alex, ich weiß das du dich mit deinem Vater nicht so gut verstehst, aber bitte erzähle mir hier nicht solch’ starken Lügengeschichten. Das ist ein sehr ernstes Thema und du solltest glücklich sein, dass es dir so gut geht. Deine ganzen blauen Flecke und Verletzungen holst du dir nur von deinen ständigen Prügeleien mit deinen Freunden. Das sagte mir Antonio schon vor Ewigkeiten! Und Ped, von dir hätte ich ehrlich gesagt auch nicht erwartet, dass du deinen Bruder dabei noch unterstützt. Jetzt lasst mich in Ruhe, ich hab’ noch zu tun.“ Genauso war ihre Antwort. Natürlich gaben wir nicht gleich auf und wollten sie überzeugen, doch Lena war viel zu sehr verbohrt. Es hatte keinen Sinn! Wir versuchten es dennoch öfter. An anderen Tagen, andern Zeiten, auf andere Weise. Sie glaubte uns einfach nicht. Für sie zählte nicht, dass ihr Mann, unser Vater, immer die Möglichkeit hatte, etwas hinter ihrem Rücken zu machen. Antonio war zwar nicht arbeitslos – er verdiente sogar recht gut, manchmal sogar fast zu gut für seinen Job – aber er war dafür schon immer am frühen Mittag zu Hause. Ich war schon sehr froh darüber, dass Lena zumindest nicht mit unserem Vater über unsere Gespräche geredet hatte. Sonst wäre wahrscheinlich auch so schon in ihrer Abwesenheit die Decke eingestürzt.

 

Dadurch, dass ich mit niemanden über dieses Thema reden konnte… aus Angst, aus Trauer, mangelndem Vertrauen oder starker Beobachtung, fraß ich mit der Zeit alles in mich hinein und wurde immer verschlossener gegenüber anderen. So verlor ich immer mehr meiner Freunde. Am Ende hatte ich wirklich gar keinen mehr. Immer wieder gab es Streit mit irgendwelchen ehemaligen Freunden oder Mitschülern. Ich galt als arrogant und stur. Vielleicht stimmte es auch. Mir war alles so gleichgültig und ich machte meine Aufgaben in der Schule, sowie auch zu Hause nur noch wie ein Roboter. Ped hielt zu mir und versuchte alles, um mich wieder etwas lebendiger zu bekommen. Aber es funktionierte einfach nicht. Ich verstand den Sinn in meinem Leben nicht mehr, auch wenn ich nicht an Selbstmord dachte. Dann ergab sich eine andere Möglichkeit, seine Sorgen und Schmerzen zu vergessen.

 

Meine Mutter schickte mich aus der Küche ins Wohnzimmer, um ihr eine Zeitung zu bringen, die sie liegen gelassen hatte. Als ich dann im Raum stand und die auf den Boden gefallene Zeitung aufheben wollte, entdeckte ich neben meinem schlafenden Vater auf einem kleinen Tisch ein kleines Fläschchen. Sie war mit irgendeinem Wasser oder Ähnlichem gefüllt. Mein Vater schlief und merkwürdige Fläschchen standen neben ihm. Kombination eines Kindes: Es kann nur ein kleines Schlafmittel sein. Vielleicht auch noch ein Schmerzmittel. Schließlich stand da irgendein seltsamer Name drauf. Daher steckte ich es ausnahmsweise heimlich ein, brachte meiner Mutter ihre Zeitung und verzog mich in mein Zimmer. Ich überlegte, was ich mit der Flasche nun machen sollte, aber da Ped die ganze Zeit bei mir war, konnte und wollte ich erstmal nichts machen. Er hätte sich zusätzliche Sorgen um mich gemacht.

 

Abends dann konnte ich mal wieder nicht schlafen. Mir tat alles weh und ich war auch nicht müde. Ich stand auf und nahm etwas aus dem kleinen Fläschchen meines Vaters. „Schaden kann’s ja nicht“, dachte ich. Ich stufte es als Baldrian ein. Es schmeckte scheußlich! Die Wirkung jedoch war enorm. Plötzlich spürte ich nicht mehr einen Schmerz, war furchtbar müde und einfach so zufrieden. Es tat gut. Seitdem machte ich es öfter. Mein Bruder zeigte ich es auch, aber er war nicht davon begeistert und wollte mich davon abbringen. Aber ich kam davon nicht mehr los. Es war so gut und schien so ungefährlich. Den Geschmack vergaß ich langsam und nahm dafür immer mehr von dem Zeug. Mein Vater schien genug zu haben, doch er merkte trotzdem langsam, dass ich ihm etwas stahl.

 

Eines Tages rief er mich zu sich und wie vom Blitz getroffen blieb ich stehen, als ich eine der Flaschen in seiner Hand entdeckte. Ich erwartete ein gewaltiges Donnerwetter, ging innerlich schon in die Schutzstellung und es geschah – nichts! Stattdessen fragte er nur, wo ich es gefunden hätte und wie viel ich davon nehmen würde. Ich antwortete wahrheitsgetreu und seit diesem Zeitpunkt gab er mir freiwillig diese Flaschen und hatte dabei grundsätzlich gute Laune. Da das Mittel so überzeugend auf mich wirkte, glaubte ich auch nicht, dass er irgendwelche Hintergedanken pflegte. Später fragte ich ihn mal, was das überhaupt sei… nur war es nicht die Antwort, die ich erwartet hatte. Er sagte nicht „Baldrian“ oder „ein Schmerzmittel“… er sagte „Opium“. Zuerst verstand ich gar nicht, was das sei, doch ich las nach und anschließend war ich mehr als schockiert. Ich konnte es einfach nicht fassen, aber ich war schon längst abhängig geworden und so konnte ich nichts mehr dagegen tun. So hatte mich unser Vater noch stärker in der Hand. Mit der Zeit erfuhr ich, dass er selbst anscheinend ein richtiger Drogensüchtiger war, der sich nur sehr gut unter Kontrolle hatte oder seine Sucht in der Stille auslebte, sodass es keiner merken konnte. Ich wusste ja schon, dass er raucht und trinkt, doch nun kam Opium, Haschisch und LSD dazu. Bei Paco schien es der gleiche Fall zu sein. Ich frage mich ehrlich, wie Lena das alles nicht mitkriegen konnte. Von da an fing ich an sie zu hassen. Sie glaubte mir nicht, sie merkte nichts, sie war nie da und sie hörte nie zu. Ich gab ihr mitunter auch die Schuld an meiner Sucht. Hätte sie etwas aufgepasst, wäre mir das alles nicht passiert. Es war unfair von mir, doch vielleicht auch etwas verständlich.

 

Mein elftes Lebensjahr verlief dafür recht ruhig. Natürlich gab es immer noch täglich Schläge und/oder man wurde angeschrieen und für irgendetwas bestraft. Genauso fassten sie mich auch noch an oder machten etwas anderes Anwiderndes. Doch sie vergewaltigten mich nicht noch einmal und so wich meine Angst davor ein wenig. Auch, wenn man sowas nie vergisst. Dann kam der Tag, an dem meine Mutter mit Ped lange weg war. Sie startete in letzter Zeit Versuche, um mich meinem Vater näher zu bringen, damit wir uns besser verständen. Schließlich glaubte sie uns immer noch nicht und wir hatten die Erklärungsversuche auch schon aufgegeben.

 

Ich saß im Zimmer an meinem Computer und versuchte mich soweit wie möglich von meinem Vater fern zu halten. Aber irgendwann kam er ins Zimmer und zog mich vom Computer weg. Ohne Grund und Wort prügelte er auf mich ein. In einer Geschwindigkeit und Stärke, dass ich nicht mal mehr wusste wo und wer ich bin. Irgendwann wurde um mich herum alles schwarz und als ich die Augen wieder öffnete, befand ich mich im Krankenhaus. Es war schon Abend, um mich herum mein Bruder und Lena. Antonio stand weiter abseits. Mir tat alles weh und ich fühlte mich immer noch wie in einem schlechten Traum. Ich bemerkte, dass mein Rücken total abgepolstert war und sich wie betäubt anfühlte, doch wieso wusste ich nicht. Ped versuchte mir zusammen mit Lena etwas zu erklären und ich nickte einfach zu allem, obwohl ich kein Wort verstand. Ihre Stimmen klangen wie aus weiter Ferne und sie waren undeutlich. Als sie dann alle verschwanden, kam noch einmal ein Arzt ins Zimmer. Er meinte, mein Verband müsste nochmal dringend heute Abend gewechselt werden. Schon beim Lösen der Umwicklung hielt ich die Schmerzen fast nicht aus. Ich fühlte mich wie in einem großen Feld, voll mit Kakteen und Brennnesseln. Dann sah ich durch einen Spiegel, was ich auf dem Rücken hatte. Oder besser gesagt, was mein Rücken war. Ein reines Feld aus roter Flüssigkeit. Mein ganzer Rücken war aufgerissen, blutete und sah einfach schrecklich aus. Jede Bewegung die ich spüren musste, war die Hölle. Ich bin Bluter und die Wahrscheinlichkeit, dass mein Rücken sich wieder besserte oder es ganz verheilt, betrug nur noch 10 %, wenn überhaupt…! Seitdem konnte ich mich nirgends mehr richtig anlehnen und musste bei jeder Berührung aufschreien. Es dauerte mehrere Wochen, bis ich das Krankenhaus wieder verlassen konnte. Mein Vater tauchte nicht einmal auf. Meine Mutter war dreimal anwesend und mein Bruder jeden Tag.

 

Mit 12 wurde mein Rücken zu einem richtigen Problem für mich. Aber auch das konnte meine Mutter nicht überzeugen. Obwohl ich nicht weiß, wie sich mein Vater da noch rausgeredet hat. Mein Leben wurde richtig chaotisch. Ich hielt das alles nicht mehr aus und ich wollte auch nicht mehr. Die Schule wurde zur reinsten Qual, da ich immer mehr mit irgendwelchen Personen und Mitschülern aneinander geriet. Meine ersten richtigen Prügeleien entstanden und alle hielten gemeinsam die Meinung gegen mich, dass ich arrogant, stur, eitel, ein Streber und so weiter sei.

Ich wäre noch damit klar gekommen, wäre nicht unbedingt einer in meiner Klasse gewesen, der mich regelrecht hasste. Ian Cortess-Lamoré. Mein größter Feind auf Erden. Wir hatten uns am Tag mindestens zweimal geprügelt. Selbst mein Bruder musste sich gegen ihn verteidigen. Reden konnte man nicht...! Dazu kamen die ständigen dummen Eigenschaften von uns Jungen. Wahrscheinlich kennt es jeder Schüler und jede Schülerin in Europa. Das „Auf-den-Rücken-hauen-Spiel“. Es ist zwar nur als lockerer Freundschaftgruß gemeint, aber wenn man es bei mir machte, bekam ich jedes Mal einen Wutanfall. Mein Rücken ist nicht besser geworden und so schrie ich halt immer auf oder musste die Zähne zusammenbeißen. Sie wussten ja nichts davon. Und ich hatte auch nicht vor es ihnen zu erzählen. Und so wie es immer ist, mussten sie es dadurch extra machen, weil sie wussten, der Streber regt sich darüber auf. Oder er ist halt so ein Weichei, dass er gleich losschreit.

 

Ian nutze das immer besonders aus. Dann, einmal, war große Pause und wir hatten uns mal wieder in den Haaren. Danach sollten wir Sport haben und ich ging wie üblich auf die Toilette, um mich umzuziehen. Ich wollte einfach nicht, dass die anderen meinen Rücken sehen. Ich dachte, mir käme wie üblich keiner nach, aber Ian folgte mir wohl auf Schritt und Tritt. Ped konnte es nicht bemerken. Genauso wenig wie ich, aber plötzlich stand er vor mir und fing wieder an zu streiten. Am Ende kam es erneut zu einer Rauferei und im gelang es, mir das T-Shirt wegzunehmen. Er sah meinen Rücken. Es war genauso wie ich es befürchtet hatte. Eine Mischung von Ekel und Erstaunlichkeit im Blick. Doch anscheinend behielt er es für sich. Dafür änderte sich sein ganzer Charakter. Statt das er sich mit mir stritt oder so, wurde er richtig nett und sagte den Anderen sogar noch, sie sollten mit dem Schlagen auf den Rücken aufhören. Keiner verstand ihn, aber zumindest hörten sie auf ihn. Später unterhielt ich mich mehr mit ihm und fand letztendlich einen richtig guten Freund in ihm. Mein bester Feind wurde zu meinem besten Freund! Ian frischte mein Leben mit Ped zusammen richtig auf. Da die Begegnungen mit Elis zu einer Antiquität wurden und meine Freunde ausgestorben waren, band ich mich sofort an ihm fest.

 

Er wohnte nicht in Barcelona, sondern musste täglich eine recht lange Busfahrt auf sich nehmen, wenn er nach Hause kommen wollte. Einmal verpasste er dann seinen Bus und er beschloss, Ped und mich bis zu unserem Haus zu begleiten. Wir waren uns nicht sicher, ob das so eine gute Idee war, aber es war ja nur bis vor die Tür und nicht bis in die Wohnung. Außerdem möchte man einen neu gewonnenen Freund auch nicht einfach sitzen lassen.

 

Als wir angekommen waren, öffnete mein Vater bereits die Tür und gab uns ein Zeichen, dass wir uns etwas beeilen sollten. Wir zogen Ian erstmal mit. Ped hatte sogar Hoffnung, dass Ian auch einmal bei uns zu Besuch kommen kann, wenn er sagen würde, es wäre nur sein Freund. Doch die Laune meines Vaters war sicher nicht für so ein Gespräch darüber geeignet. Er hatte uns wohl gesehen, als wir plötzlich zu dritt, statt zu zweit auftauchten. Er fing vor Ian an zu schreien und seine gesamte Wut heraus zu lassen. Wie könnte ich es wagen, hier einfach jemanden anzuschleppen, der dazu auch noch so aussehen würde wie er (Ian) und so weiter und so fort. Weder Ped noch ich konnten auch nur ein Wort dazu sagen, ihm zumindest versuchen, zu erklären, was wirklich war. Antonio hatte sich bereits Ian zugewandt und ihn angemault, als dieser sich empört beschweren wollte. Zwei Sekunden später bekam er eine Ohrfeige von unserem Vater. Daraufhin ging Ian dann nur noch schweigend nickend. Was hatten wir für Sorge, unseren Freund dadurch wieder verloren zu haben… doch Ian war schon immer eine eigene Persönlichkeit und so kam es nicht, wie befürchtet. Kaum waren wir wieder in der Schule und es begann die erste Pause, fragte er uns, was das denn gestern bitte war. Wir verzogen uns mit ihm in eine Ecke des Schulhofes und versuchten ihm anfangs eine billige Ausrede zu geben, aber wir waren wohl keine guten Lügner. Ian bohrte immer weiter nach, wollte mehr wissen, erfahren, Hintergründe sehen. Irgendwann erzählte ich ihm auch den größten Teil meiner Geschichte. Er war der Erste von außen, der etwas davon erfuhr und der es auch so auffasste und so zu einem hielt.

 

Elis wollten wir es nicht erzählen. Wir dachten, sie verstände es nicht. Doch bevor dieser Wandel zwischen Ian und uns Zwillingen zustande kam, sollte noch einiges passieren. Schließlich war die Schule und er nur eines der Probleme… meine Sucht wurde schlimmer und bereits meinte mein Vater, ich sollte es selbst bezahlen. Ich machte massenhaft Schulden, da ich natürlich nicht das Geld dafür hatte. Und mein Vater vergewaltigte mich zusammen mit Paco abermals… meine Mutter war für eine Woche auf einer Fortbildung und Ped sollte mit, damit sich mein Vater und ich uns wieder mal besser verstehen könnten. Von wegen…!

 

Antonio und Paco zogen mich an einem der Abende mit in eine Kneipe und ließen sich bis in die späte Nacht vollaufen. Ich musste die ganze Zeit daneben sitzen und den Mund halten. Mein Vater war mit Alkohol noch aggressiver als sonst, von daher war sowieso absolute Stille geboten. Eine falsche Bewegung und man wäre dran gewesen. Und das konnte man sich schon allein dadurch nicht leisten, weil es dann mehrere Personen mitbekommen hätten und dann wäre mein Vater schließlich für meine Schuld verantwortlich gemacht worden.

 

Später dann wollten sie wieder gehen. Doch kaum waren wir aus der Tür und vier Schritte weit gegangen, griffen sie mich am Arm und zogen mich ganz gelassen einen anderen Weg entlang. Sie sagten kein Wort darüber, wohin es ging, Blicke ignorierten sie. Das einzig Interessante schien für die Beiden ihre Zigaretten zu sein.

 

Nach einiger Zeit waren wir bei einem alten Haus, was anscheinend ein kleiner zusätzlicher Besitz Pacos war. Es lag etwas abgelegen, so, dass keiner etwas sehen oder hören kann. Kaum war ich drin, zwang mich mein Vater mich auszuziehen und es erfolgte das Gleiche, wie als ich zehn Jahre alt war.

 

Aber es war wesentlich schlimmer. Und wesentlich länger. Sie hielten die ganze Nacht durch. Als sie mich endlich entließen, rannte ich nur noch nach Hause. Einfach gerade aus, irgendwo lang. Angekommen heulte ich nur noch, schmiss meine Sachen weg und duschte. Ich wollte dieses schreckliche Gefühl loswerden. Doch der Dreck, den ich spürte, ging einfach nicht weg. Ich hörte erst auf, als ich merkte, dass mein Vater wieder da war. Auch dieses Mal erfuhr Pedro nichts davon. Ich hatte viel zu große Sorge, mein Vater würde dann noch schlimmer werden. Doch ich musste mich ständig übergeben, bekam Herzjagen, Schweißausbrüche, hatte Ess- und Schlafstörungen… ich fühlte mich rundum unwohl. Meine Mutter winkte nur ab und meinte, es sei ein stärkerer Infekt oder ich sollte zum Arzt gehen. Doch mein Vater winkte ab und damit war auch die Idee mit dem Arzt vom Tisch.

 

Ped machte sich Sorgen, da ich mich wohl auch noch zusätzlich vollkommen verstört benahm und fragte, was mich so bedrücke. Doch ich durfte es ihm ja nicht sagen! So entwickelte sich langsam ein ungewollter Streit zwischen uns und ich saß da: Ich hatte Probleme in der Schule, besaß keine Freunde, stritt mich nun auch noch mit meinem Bruder, kam von meiner Sucht nicht los, meine Mutter hörte mir nicht zu und glaubte mir nicht und dann die neue Vergewaltigung und die Schmerzen… ich fühlte mich einsam und allein, nicht verstanden.

 

Mein Vater sammelte Waffen und so kam die Versuchung immer näher. Dann wagte ich es einmal und klaute ihm ein Messer und irgendeine spezielle Pistole. Ich steckte sie mir heimlich in den Rucksack und wartete, bis die Schule vorbei war. Anschließend lief ich einfach soweit weg wie nur möglich. Keiner war da, der mich hätte bewahren können und es wäre so einfach gewesen! Ein Schuss, oder ein richtiger Schnitt oder Stich und ich könnte fliehen aus meinem Leben. Ich wagte es auch – ich war einfach entschlossen, denn ich konnte nicht mehr. Doch man ließ mich nicht gehen. Pedro und Elis, bereits schon ein Paar, fanden mich bewusstlos. Ich landete gerade nochmal rechtzeitig im Krankenhaus. Sie retteten mir das Leben. Ich wusste nicht, ob ich das wirklich wollte, da so die Qualen weitergehen würden, doch im Nachhinein weiß ich nicht mehr wie ich ihnen das gut machen soll. Sie halfen mir die nächste Zeit wieder auf und dann kam ja auch Ian dazu. Sie waren für mich da und hielten zu mir. So überlebte ich auch noch zwei weitere Vergewaltigungen, selbst wenn ich davon nicht sprach… einmal in den Sommerferien… und einmal, einen Tag vor Weihnachten. Die Schulden für das Opium wuchsen zwar weiter, aber darüber machte ich mir weniger Sorgen.

 

Mit 13 ändere sich bei mir einiges. Anfangs zwar nicht, doch dann: Lena hatte sich ausnahmsweise einen Tag frei genommen und so musste mein Vater sich beherrschen. Vor ihr konnte er mich nicht schlagen, außer er erwischte mich im Badezimmer oder in dem, von Ped und mir. Doch diesmal konnte er sich nicht zurückhalten. Mein Bruder und ich waren an dem Tag etwas aufgedreht, da wir uns durch Lena etwas sicherer fühlten. Als wir dann beim Essen waren, hielt es mein Vater jedoch einfach nicht mehr aus. Wie eine Furie schlug er auf einen ein. Vor den erschrockenen Augen Lenas. Plötzlich begriff sie es und fing sofort an ihre Sachen zu packen. Es nützen nicht mal mehr seine schleimenden Worte, um Lenas und auch unseren Auszug zu verhindern. Sie ließ sich von ihm trennen und zog mit uns nach Dresden. Tausendmal entschuldigte sie sich, für ihre Blindheit und versuchte alles, um es wieder gut zu machen. Sie konnte es nicht wirklich wieder gut machen, aber ihre Bemühungen reichten uns fürs Erste und wir dachten, von nun an käme eine etwas bessere Zeit, wo wir ihr vielleicht mehr erzählen könnten, als nur den Teil mit den Schlägen, doch leider täuschten wir uns… zwar hörten wir für die ersten zwei Wochen nichts mehr von unserem Vater, doch Lena hatte sich nicht geändert. Nach ein paar Tagen war wieder alles beim Alten… das Wichtigste war und blieb die Arbeit. Immer noch bis spät abends. Vielleicht registrierte sie uns, aber wirkliches Interesse schien sie nicht an uns zu haben. So waren wir meist allein zu Hause und zumindest ich, verzog mich mehr in den Chat oder schrieb mir E-Mails mit einer Freundin. Sie war die erste Person, der Ped und ich genauer von der Sache mit unserem Vater erzählt hatten. Halb unfreiwillig, halb freiwillig. Ich weiß nicht mehr genau wie, aber irgendwann erfuhr sie auch von den Vergewaltigungen. Nach einer Weile meinte sie dann, ich müsste es endlich Ped und auch Lena erzählen. Ich ließ mich von ihr überreden. Es Pedro zu gestehen war noch recht leicht und er verstand es auch, selbst wenn er ziemlich geschockt war. Ein paar Tage später bin ich dann mit ihm zu Lena gegangen, da er meinte, sie müsste es unbedingt wissen und vielleicht könnte man dann endlich etwas gegen unseren Vater unternehmen. Bei ihr viel mir das – warum auch immer – wesentlich schwerer und daher war ich wahrscheinlich auch etwas ungenau, aber genau wie damals schien sie ordentlich zuzuhören… und genau wie damals brachte sie so einen Hammer… „Das tut mir Leid, aber das regelt ihr doch alleine, oder?!“. Wir hatten es etwas später noch zweimal versucht, aber danach gaben wir’s auf. Sie wusste nicht mal, wovon wir sprachen. Anscheinend musste sie alles sehen, um es zu glauben. Sie war ein etwas komischer Mensch… auf der einen Seite total desinteressiert und auf der anderen Seite wieder ganz im Einsatz, denn ein paar Tage später kam dann ein Brief von dem Anwalt unseres Vaters. Er wollte uns wiederhaben. Lena nahm sich frei, was nur in den größten Ausnahmen geschah, und versuchte alles was sie so zum Auffahren hatte, einzusetzen. Dabei erfuhren wir dann auch, dass sie nicht unsere echte Mutter war. Trotzdem hatte sie fürs Erste die Hand vorn und unser Vater musste für eine Weile Ruhe geben.

In der Schule geschah bis dahin eigentlich nichts Neues. Es war fast das Gleiche wie in Barcelona. Nur das ich etwas mehr mit den Leuten reden konnte, als dort. Doch Freunde waren trotzdem keine vorhanden und ich vermisste die vertrauensvollen Personen wie Ian mehr denn je. Dann bekam ich kurz vor den Weihnachtsferien das Angebot, in die 9. Klasse zu wechseln. So sollte ich also kurz nach den Ferien und auch dem 14. Geburtstag, springen.

 

Bis dahin sollte sich jedoch noch etwas in meinem Leben ändern, da ich immer wieder starke Schmerzen und Probleme bei und in den Beinen hatte und manchmal kaum noch laufen konnte, da jede Bewegung so wehtat. Es wurde immer schlimmer. Lena hatte e längere Zeit beobachtet, bis sie mich irgendwann gegen meinen Willen zu einem Arzt zerrte. Dort musste ich dann erfahren, dass ich es wohl mal wieder meinem Vater zu verdanken hatte. Oder besser den „Spielchen“, die er damals immer ausrechend mit mir gespielt hatte.

 

Die ganz genauen Gründe, wussten die Ärzte nicht wirklich zu sagen, da ihnen natürlich nichts von den Erlebnissen mit meinem Vater bekannt war, aber ihre aufgezählten Möglichkeiten reichten völlig aus. Es waren nur zwei Möglichkeiten und dass die erste Idee nicht zutreffen konnte, wusste ich. Jedenfalls meinten sie, von alleine würde es sich nicht mehr bessern und ich hätte die Wahl… entweder ich würde einer Operation zustimmen, nach der die Entzündungen, Schmerzen und Wunden sich zumindest um einiges bessern würden, wobei sie jedoch einiges an meinen Beinen machen müssten, da sie sehr stark angegriffen wären und wobei es nicht zu verhindern wäre, dass sie meine Nerven durchtrennen. (Mit anderen Worten, ich käme in einen Rollstuhl.) Oder ich hätte die Möglichkeit gehabt, dass ich es ablehne und versuche so damit klarzukommen. Doch die Gefahr, dass es mit der Zeit noch schlimmer würde und am Ende dadurch, das man es nicht heilen kann, sogar lebensgefährlich werden könnte, wäre dann recht hoch. Sie ließen mir eine Woche Zeit, um die Entscheidung zu treffen, obwohl es eigentlich klar war, wie sie ausfällt. Dann war die Woche rum und ich konnte mich einfach nicht an den Gedanken gewöhnen, nach dieser Operation meine Beine zu „verlieren“. Ich leerte fast alles, was ich an Opium besaß, um mich zu beruhigen. Als ich anschließend die Narkose bekommen sollte, funktionierte es nicht, da sie irgendwie nicht gegen die Droge ankam. Erst zwei Stunden später klappte es dann. Zum Glück haben sie nicht überprüfen lassen, woran es lag, denn sonst hätte Lena ja von der Sache mit den Drogen erfahren.

Ich weiß nicht, wie viel später es war, bis ich wieder richtig wach war. Die erste Person die ich sah, war Ped. Ich suchte Lena, aber sie war nicht da. Wie Ped mir später erzählte, war sie wohl nach einer halben Stunde von ihrer Firma angerufen worden. Danach war sie weg… die ganze Zeit über, wo ich im Krankenhaus war, kam sie nur einmal vorbei und tat auch noch so, als sei nichts gewesen. Bis heute frag’ ich mich, warum sie nicht da war. War ihre Arbeit ihr wirklich wichtiger als ich? Oder mochte sie mich nicht mehr so, wie ich bin? Sie bekam nicht mit, wie ich dieses komische Gefühl im unteren Bereich von mir hatte, wie ich aus Frust immer wieder versuchte aufzustehen und jedes Mal sofort hinflog und sie bekam auch nicht mit, wie sehr ich sie ausnahmsweise mal gebraucht hätte!

 

Schon etwas später ging ich wieder zur Schule. Merkwürdig, wie sich alles verändert hatte. Ich hatte niemanden davon erzählt, warum auch? Ich tat so, als sei alles ganz normal und versuchte die dummen Blicke der Anderen zu ignorieren. Nach dem Grund, fragte mich zum Glück keiner. Dafür änderte sich viel bei den Beziehungen. Selbst Nervensägen, die meinten man wäre ihr persönlicher Berater bei irgendwelchen Problemen, mieden einen plötzlich. Doch um ehrlich zu sein, störte mich das recht wenig, da ich eh in den nächsten Tagen in eine 9. Klasse kam, bei der ich dachte, da sie mich seit Anfang an so kennen würden, würden sie sich daraus nicht viel machen. In diesem Bereich täuschte ich mich dann mal ausnahmsweise nicht besonders, jedoch kam dafür langsam ein anderes Problem auf.

 

Florian Kampmann war ein 10. Klässler, ein Vertrauensschüler und ein ziemlich fieser Feind, dem ich vor ein paar Jahren in einem Chat begegnet war. Ohne es bis dahin zu wissen, gingen wir auf die gleiche Schule. Doch dann kamen die Jahresbücher heraus, in denen von jedem Schüler ein Foto und der Name zu finden war. Da wir zu dieser Zeit noch Toskíní-Pepe hießen, muss es Florian, kurz Floh, nicht schwer gefallen sein, über diese Namen zu stolpern. Da er ja sowieso gut auf mich zu sprechen war und die 10. Klassen fast neben uns waren, machte er natürlich gleich am nächsten Tag einen Besuch in meiner Klasse. Noch geschah nichts weiter, nur, dass ich am Anfang erstmal überlegen musste, wer dieser 2,05m große Typ war. Dann kam er mit ein paar Beleidigungen wegen dem Rollstuhl etc. an und verschwand wieder. Dagegen sagte natürlich noch keiner was. Wäre eigentlich auch nicht notwenig gewesen. Schließlich ist nichts passiert und ein Vertrauensschüler… wird wohl kaum etwas Verbotenes machen! Aber ab da kam er täglich in jeder Pause vorbei und fing neben den Beleidigungen auch an über mich zu spotten und abzulästern. Doch ich dachte, dass ich es noch ignorieren könnte, selbst wenn die Anderen über seine Sprüche lachten und ich jeden Abend überlegte, ob die Dinge, die er über meinen Rollstuhl und mich sagte, wahr waren. Schließlich fand ich mich selbst mit meinem „neuen Gefährten“ auch noch nicht ab. Doch es war alles noch erträglich, selbst wenn Floh sich langsam steigerte…

 

Bald darauf kam das Halbjahreszeugnis und man bot mir an – da sich meine Zensuren nicht verschlechterten – es in einer 10. Klasse zu versuchen. Ich lehnte ab, weil ich wusste, so hätte es unser Vertrauensschüler noch leichter, mich mit seinen dummen Sprüchen zu provozieren. Und ich wusste nicht recht, ob ich es wirklich so lange aushalten würde. Doch Lena, die mich sonst in solchen Sachen immer selbst die Entscheidung treffen ließ, funkte mir dazwischen. So unwissend und verbohrt wie sie war, erzählte sie mir dauernd davon, was das für eine großartige Chance es wäre und ich sollte es doch mal versuchen. Da ich mich weiterhin weigerte, traf sie letztendlich die Entscheidung und ließ mich in eine 10. Klasse verfrachten. Es half nicht mal, dass Ped (ich hatte ihm von der Sache mit Floh erzählt und er hatte es teilweise auch selbst gesehen) auf meiner Seite stand. Er selbst durfte jedoch in der 9.Klasse bleiben.

 

Ich hatte das Glück und kam ausgerechnet in Flohs Klasse und wurde auch noch neben ihn gesetzt, damit er mir helfen könne, wenn ich etwas nicht verstehen würde. Doch Florian verhielt sich ganz normal und sagte nicht einmal ein Wort zu mir. Abgesehen von einem kurzen Blick war er ganz ruhig. Ich verfiel in meine Traumwelt und dachte, er würde sich jetzt nicht mehr trauen, mich zu beleidigen und an zu machen, da er so vom Vertrauensschüler „abgewählt“ hätte werden können und weil seine Mitschüler genauso alt waren wie er. Aber dann, als ich am nächsten Tag zur großen Pause den Klassenraum verlassen und zu Ped gehen wollte, hielt er mich fest und fragte mich, wohin ich denn bitte so schnell wolle. Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er meinen Rollstuhl wieder in den Klassenraum zurück. Da ich dachte, es käme das Übliche, wehrte ich mich nicht groß. Merkwürdigerweise waren noch alle Schüler im Klassenraum anwesend. Wir durften zwar in den Pausen im Klassenraum bleiben, doch das waren einfach zu viele.

 

Er schob mich bis zur Tafel hin und tat so, als wolle er mich den Schülern vorstellen. Zuerst wie es so üblich war mit Namen, Alter, usw.…!! Danach fing’ er wieder mit seinen kleinen Schikanen an. Weil meine Mutter freundlicherweise wollte, dass die Lehrer einen Vertrauensschüler über manche Informationen und Erlebnisse von mir einweihen, weil ich wohl noch nicht so gut klarkommen würde, erfuhr Floh von der Art meiner Operation und damit alle Einzelheiten. Genauso die Sache mit meinem Rücken und einer Art Korsett, was ich tragen musste, damit ich mich wenigstens halbwegs normal im Rollstuhl bewegen konnte und so weiter. Ich selbst erfuhr von dieser Übertragung an Einzelheiten allerdings erst, als er diese Infos schon auf längere Zeit ausgenutzt hatte.

 

An diesem Tag bestand es wie gesagt nur aus den alltäglichen Sprüchen und so etwas… doch es wurde schlimmer. Jeden Abend holte er sich von seiner Internetclique Tipps, was man denn noch so mit mir machen könnte. Sie hatten dort natürlich auch schon alle wichtigen Information über mich bekommen. Von nun an plante er täglich etwas Neues. Immer „lustiger“ als am Vortag. Aus den Sprüchen wurden schließlich Aktionen wie mich aus dem Rollstuhl zu ziehen, mich von Zweien seiner echten Clique vor die Klasse stellen zu lassen und zu sagen: „So, dann wolln’ wa’ dir ma’ das Stehn’ beibringen!“ Danach ließen sie mich fallen und ach wie war das lustig, wenn ich wie ein Stein auf den Boden fiel. Da Floh sehr genau wusste, wie mich das demütigte, ließ er es natürlich noch öfters wiederholen. Und immer, wenn ich dann nicht ohne Hilfe stehen blieb, gab es natürlich eine Bestrafung. Meistens aus Schlägen bestehend. Floh konnte einen sehr guten Ersatz für Antonio darstellen…! Aber immer das Gleiche wäre mit der Zeit uninteressant geworden. Daher machte Florian dieses Spiel nur noch jedes Mal zur Einführung des „täglichen Programms“. Neue Ideen von seiner Clique und ihm waren dann zum Beispiel mir den Pullover auszuziehen und erstmal alle wegen dem Korsett zum Lachen zu bringen und blöde Fragen zu stellen. Einen Tag später wurde mir das Korsett schon weggenommen. Ein paar Tage später  ging es dann schon soweit, dass ich nur noch in Unterhose vor ihnen stehen bzw. sitzen durfte, denn die Verletzungen wurden langsam langweilig und auch das „Korsett“ stellte nicht mehr allzu viel dar. Von nun an hielten Florians Ideen inne. Warum, kann ich nicht genau sagen, doch er hatte wohl genug Vorrat oder Klassiker gefunden, um die Klasse bei Stimmung zu halten. Niemals hatte jemand auch nur ein Wort gegen das Vorgehen Flohs gesagt, auch, wenn ich manchmal den Eindruck hatte, dass manche doch nicht immer ganz seine Meinung teilten…

 

Da ich meinen Bruder gebeten hatte, in den Pausen nicht zu mir zu kommen, nahm Florian das Zepter in die Hand und ließ ihn kurzer Hand in unseren Klassenraum transportieren. Er sollte einen weiteren Zuschauer spielen. So wurde er auf einen Stuhl verfrachtet und das übliche Spiel begann von neuem… auch Ped unternahm anfangs nichts… ich hatte ihm etwas beiläufig die Antworten auf seine Fragen zu Florian gegeben, doch sie waren nie so direkt, dass er die Situation wirklich vollkommen hätte nachvollziehen können. Nun sah er es mit eigenen Augen.

 

Als wir wieder zu Hause waren, kam über das Thema kein einziges Wort. Weder von Pedros noch von meiner Seite. Wir schwiegen den ganzen Tag in uns hinein und auch als Lena kam, wurde die Atmosphäre nicht besser. Sie war gestresst von irgendwelchen Besprechungen und nahm ihre Umwelt gar nicht mehr wahr. Sie hätte allein in dem Raum sein können, es hätte keinen Unterschied gemacht. So verlief fast genau eine Woche… danach schien Floh wieder neue „Visionen“, wie er es nannte, bekommen zu haben. Er wollte sein Werk mit der vollkommenen Demütigung beenden. Pedro war abermals anwesend. Dieses Mal wollte er eingreifen, doch gegen Florians Gemeinschaft gibt es wenig, was man tun kann. Florian, der wesentlich größer war als wir, hielt ihn von hinten fest, übergab ihm einen seiner Freunde, der ihm fast seinen Arm brach. Trotzdem hatte die Aktion einen Zweck, sie opferte Zeit, sodass Florian seinen Plan letztendlich verlegen musste. Es blieb vorerst bei der „alten Show“.

 

Ich hatte bereits gegen Florian eine Angst entwickelt, die der zu meinem Vater sehr ähnlich wurde. Sie war noch nicht ganz so stark wie die ihm gegenüber, doch sie kam auf eine andere Weise. Bei meinem Vater hatte man sich im Laufe der Jahre daran gewöhnt, vorsichtig zu sein. Man konnte einschätzen, wann wieder etwas passieren würde. Zumindest meistens. Bei Florian konnte man auch sagen, wann etwas passieren würde. Doch man konnte nie sagen, was, weil er sein Programm stetig erweiterte. Ich war jeden Tag erneut in einer Schocksituation, ich konnte so gut wie nichts mehr kontrollieren. Selbst nachts verfolgten mich die Gedanken von Florian noch. Ich träumte von den Situationen die waren und die er vielleicht ankündigen könnte… man bekam keine Ruhe mehr. Die Gedanken kreisten um einen und ließen einen nicht mehr los.

 

Kurze Zeit später bekam ich noch ein zusätzliches Problem. Jedoch ein sehr Privates. Abends hatte ich besagte Träume von Florian... und morgens wachte ich auf und bemerkte, dass mein Bett nass war. Sobald ich realisierte, was passiert war, flüchtete ich regelrecht vor Ped aus dem Zimmer. Er war noch nicht wirklich wach, sodass ich die Situation recht gut verbergen konnte und alles entfernen. Mir war das Geschehnis sehr, sehr peinlich und so behielt ich es absolut für mich. Ich dachte, es sei eine einmalige Sache, die nicht wieder vorkommt, doch das war nicht der Fall. Anfangs passierte es nur nachts und in unregelmäßigen Abständen… aber es fing an sich zu häufen, bis es irgendwann jeden Abend geschah. Ich tat alles, um es zu verheimlichen. Ich benutzte viele Ausreden, schmiss die meisten Dinge einfach weg. Ped wurde wie immer recht misstrauisch, doch er konnte nichts herausfinden. Dann kam der Tag, an dem Florian seinen geschmiedeten Plan durchführen wollte. Alles begann wie immer, doch anschließend… musste ich völlig nackt vor der Klasse stehen, mich von ihm schlagen und absolut demütigen lassen. Ich war in purer Panik und Angst. Ich suchte mit Blicken Hilfe, doch alles worauf ich traf waren Schüler, die entweder lachten, mich schweigend beobachteten oder welche, die meinten, Florian noch mündlich unterstützen zu müssen. Ped reagierte natürlich nicht so, doch handeln konnte er nicht. Ich hatte das Gefühl, außer ihm würde mich keiner mehr als Mensch ansehen, sondern als eine Art Spielzeug oder ein unwichtiges Tier. Dann kam der Moment, in dem ich mir plötzlich auch tagsüber in… „die Hosen machte“. Ich wusste nicht, wie das passieren konnte und ich wusste auch nicht, wie ich es verhindern sollte. Aber von diesem Augenblick an war klar, dass der Schock oder die Überraschung die sich in den Gesichten aller abzeichnete, nicht die einzige Folge bleiben würde. Florian trieb es noch weiter. Bis dahin konnte ich nicht mal ahnen, dass es noch eine Stufe geben könnte. Noch eine Idee. Er fühlte sich beflügelt und ich mich wie im tiefsten Untergrund. Nachdem das baldige Ende der Pause mich endlich erlöste und sie meine extra vorher nass gemachten Sachen wieder hinwarfen und mich losließen, trat Pedro wieder ins Bild. Er half mir ohne ein Wort zu sagen wieder in meine Kleidung und in den Rollstuhl. Er verließ mit mir den Raum und ließ Chris, meinen Betreuer und Fahrer herkommen.

 

Chris war einer der wenigen Personen, denen ich ein Bisschen vertraute. Er war nett und nahm Rücksicht auf die Probleme von mir. Er brachte mich morgens zur Schule und holte mich auch wieder ab. Der Weg per Bus wäre bei uns zu umständlich gewesen. Chris versuchte immer wieder ein Gespräch aufzubauen, ein wenig über seinen Begleiter zu erfahren, doch meist schwieg ich. Obwohl ich eine Sympathie für ihn empfand, war er doch ein Fremder und das wollte ich nicht völlig außer Acht lassen. Das Misstrauen konnte ich nie ausschalten.

 

Na ja... als er mich an diesem Tag abholte, obwohl der Schultag gar nicht vorbei war und mich so sah, war er anfangs sehr verwirrt. Ped meinte zu ihm, er solle mich einfach nach Hause bringen und vielleicht ein wenig bleiben. Chris stellte ein paar besorgte Fragen, erklärte sich jedoch einverstanden. Mein Bruder ging zurück zur Schule. Anscheinend redete er wieder mit einigen Lehrern, aber sie hörten nicht auf ihn und er ging wieder in seinen Unterricht.

 

Während der Fahrt herrschte eine ganze Zeit lang pures Schweigen. Chris wollte sich wohl nicht aufdrängen. Ich stand immer noch unter Schock durch Florian und die absolute Peinlichkeit, die die Sache mit sich trug, brachte mich nach einer Zeit zum Weinen. So bot mir Chris letztendlich doch an, mit mir darüber zu reden. Auf der einen Seite hätte ich am Liebsten sofort „ja“ gesagt… aber auf der Anderen, hätte ich dadurch noch mal alles wiederholen müssen und ich kannte ihn doch gar nicht gut genug. Genauso wenig er mich. So antwortete ich einfach nicht.

 

Nachdem er vor meinem Haus parkte und mich hineinbrachte, bekam ich zu den ganzen verwirrenden Gefühlen auch noch eine sehr alt vertraute Angst. Er war mit mir allein in einem Haus, er wusste genau Bescheid, wo ich nicht so reagieren kann, wie Andere und es gab keine Möglichkeit, ihm irgendwie direkt auszuweichen, käme er auf solche Gedanken wie mein Vater. Es kam jedoch anders. Chris gab keinen Grund, in irgendeiner Form besorgt zu sein. Er sorgte dafür, dass ich, wieder sauber, neue Kleidung anziehen konnte und versuchte mich ein wenig zu beschäftigen… abzulenken. Es brachte nicht viel, um von der Situation loszukommen, aber mir fiel sein Benehmen mehr ins Auge. Alles was er tat, war absolut seriös, er besaß sehr viel Courage und Toleranz. Ich war solche Dinge nicht gewöhnt. Mein Bruder war für mich immer wie auf einem kleinen Podest, deswegen zählte ich ihn nicht zu der Allgemeinheit. Und nun erlebte ich Chris. Ich fing an ihn etwas zu bewundern… er war anders. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und nach der Frage, ob sein Angebot immer noch galt, erzählte ich ihm, was geschehen war. Ich erzählte ihm von meinen nächtlichen „Missgeschicken“, die plötzlich am Tag stattfanden und ich ließ ihn schwören, es für sich zu behalten. Er versprach sich daran zu halten, auch wenn er meinte, es wäre besser, ich würde mit meiner Mutter darüber reden. Ansonsten war er ziemlich fassungslos.

 

Eine Weile später kam Ped. Ich erzählte ihm, dass ich Chris eingeweiht hatte und wir drei versuchten einen Weg zu finden, um die Sache zu beenden. Es gab keine Möglichkeit, es dabei nicht Lena sagen zu müssen. Aber das wollte ich definitiv nicht. Ich war fest davon überzeugt, sie würde uns genauso wenig verstehen wie die ganzen Male davor. Ped und Chris überließen die Entscheidung schweren Herzens mir. Erst nachdem Lena gestresst nach Hause kam, verließ uns Chris. Jedoch nicht ohne sich noch in sehr freundlicher Art und Weise mit unserer Stiefmutter zu unterhalten. Manchmal bekam man das Gefühl, die Beiden konnten sich sehr gut leiden.

 

Die nächsten Tage verliefen genauso schlimm wie der Vorherige. Jedes Mal verließ ich die Schule vor dem Schulschluss und redete mit Chris über die Geschehnisse. Es baute sich ein extremes Vertrauen auf und irgendwann erzählte ich ihm meine gesamten Erfahrungen mit meinem Vater. Anfangs konnte er es gar nicht glauben…

 

Was die damalig aktuelle Situation betrifft, wurde er zunehmend besorgter, meinte, er handelt gegen jegliche natürliche Moral. Nach einer Zeit redete er mit meiner Einwilligung mit der Direktion der Schule. Dort nahmen sie den Fall ein wenig ernster, als wenn Ped mit den Lehrern sprechen wollte, aber als sie in den Pausen ab und zu eine Aufsicht in den Klassenraum von mir schickten, war alles in Ordnung. Sie kamen zu einem zu frühen Zeitpunkt und Florian war gewarnt. Er ließ mich in Ruhe. Niemand außer der Schule war davon überzeugt, dass das so bleiben würde, doch genau das war der entscheidende Faktor, um die Überprüfung wieder aufzuheben. Chris regte sich unheimlich darüber auf, rastete bei der Leitung der Schule beinahe aus. Von da an blieb er jedes Mal, bis Lena kam oder sogar noch länger. Sie wunderte sich darüber schon etwas, aber da sie ihn offenkundig sehr interessant fand und er auch sie, hatte Lena nichts dagegen einzuwenden. Chris wurde zu einem Freund der Familie. Ich nahm ihn als eine Art großen Beschützer wahr, selbst wenn sich die Lage in der Schule nicht änderte. Florian war zu seinem Programm natürlich zurückgekehrt.

 

Eines Morgens fühlte sich Lena irgendwie schlecht. Sie hatte anhaltende Schmerzen in den Flanken, Gewichtsverlust, Fieber und ständige Abgeschlagenheit. Normalerweise war sie so gut wie immer gesund… sie blieb ein paar Tage zu Hause, sodass meine Aussprachen mit Chris sich auf die Autofahrt begrenzten. Er kümmerte sich um Lena und um uns. Er machte den Eindruck, als wäre er der Vater einer leicht merkwürdigen Familie. Immer mehr schloss ich ihn in meine Seele, doch es gab nie keine Möglichkeit, dass vor ihm zu erwähnen und so hatte ich nie seine Einstellung uns gegenüber erfahren. Es war klar, dass er uns mochte, aber es war mir nicht klar, inwiefern man das bei ihm interpretieren konnte.

 

Lena ging zum Arzt, als es nicht besser wurde. Sie meinte, sie hätte nur einen heftigen Infekt, doch der Arzt bestätigte das nicht. Er fand bei unserer Stiefmutter Anzeichen, die nicht auf einen Infekt, sondern auf etwas Andres hinwiesen, wie wir später erfuhren. Sie kam nach Hause mit einem Gesichtsausdruck, den man bei ihr noch nie so gesehen hatte. Er war sehr ernst, er war traurig und besorgt und trotzdem lächelte sie. Lena verkündete, sie wolle nicht mehr im Bett liegen, sondern sich lieber mit uns zusammensetzen, sich unterhalten und ein wenig was erleben. Medikamente halfen ihr, den Umständen entsprechend fit zu bleiben. Auf die Frage was sie denn nun hätte, antwortete sie nur, sie bekäme bald einen Brief, dort würde es drinstehen. Man sei sich noch nicht so sicher. Das beruhigte natürlich keinen mehr.

 

Trotzdem sollten wir zur Schule fahren. Durch ihre Anwesenheit konnte ich nicht mehr täglich früher aus der Schule kommen und so wurde der Tag noch grauenvoller. Ich konnte Florian nicht mehr ausweichen. Er war wütend darüber, dass ich mich einfach aus dem Gebäude entfernt hatte in der letzten Zeit. Durch die Angst vor weiteren Überprüfungen griff er vorerst nicht ein, doch nun fühlte er sich wieder sicher. Er quälte mich mit Peinlichkeit und Schmerzen, ließ mich im Unterricht, teilweise mit nasser Hose, immer noch lächerlich machen. Zu manchen Zeiten misshandelte er mich genauso wie mein Vater. Ich konnte mit Chris nicht mehr so reden, wie ich wollte. Eine kleine Autofahrt reichte dafür nicht aus und so verschob ich es bis spät abends, wenn ich im Bett lag. Ped redete mit mir und versuchte mich zu beruhigen, obwohl er sich wohl genauso hilflos fühlte, wie ich mich. Er war ein ungewollter Zuschauer sämtlicher Pausenaktionen. Seine Wut in dieser Zeit stieg auf etwas Unermessliches, das sah man ihm an.

 

Tagsüber fragte mich Chris öfter, was nun geschehen war, aber ich wich ihm aus. Es entwickelte sich bei allen ein Chaos aus Ängsten, Heimlichkeiten und auch Freunden, wenn man daran dachte, dass man endlich mal etwas von Lena mitbekam, selbst, wenn es nicht aus positiven Gründen war.

 

Nach einer Woche kam der von Lena angekündigte Brief. Ich selbst hatte ihn noch aus dem Briefkasten geholt und ihr gegeben. Sie verschwand damit in ihr Arbeitszimmer und kam erst nach einer halben Stunde wieder heraus. Sie verschloss die Tür und antwortete auf keinerlei Fragen. Es schien ihr alles egal zu sein. Und das war es in diesem Moment auch. Als sie endlich wie ein Geist aussehend wieder zu uns kam, bat sie Ped, Chris und mich in die Küche. Anfangs setzte sie sich nur, vergrub das Gesicht in den Händen und schwieg, doch nach einer Zeit blickte sie zu uns und benahm sich so, als würde sie ein Bewerbungsgespräch mit uns führen. Sie erklärte Chris, warum sie ihn gerne bei diesem Gespräch dabei haben wollte, aber machte es so ungenau, dass keiner den wirklichen Hintergrund verstand. Zumindest bis dahin nicht. Dann zeigte sie den Brief und sagte uns, was er beinhaltete. Langsam und sich sehr beherrschend. Sie meinte, er würde die Befürchtungen des Arztes und ihr bestätigen und daher müssten wir uns unbedingt etwas überlegen. Erst nach langer Zeit sprach sie die Tatsache wirklich aus... Sie hatte Nierenkrebs und das in einem sehr späten Stadium. Man konnte es nicht mehr lebensrettend behandeln. Ein paar Medikamente, die, die sie schon in den letzten Tagen nahm, verminderten nur ihre Schmerzen, gaben ihr ein wenig längere Zeit. Keiner konnte verstehen, was Lena da gerade sagte und keiner wusste, wie er reagieren sollte. Wir waren einfach nur noch geschockt. Keiner wusste einen Rat.

 

Nach einer langen Stille, fing Ped sich an mit Lena zu streiten. Er konnte genauso wenig wie ich begreifen, was vor sich ging, er machte ihr Vorwürfe und nach geringen Antworten von Lena verschwand er mit krachender Tür in unserem Zimmer. Chris und ich blieben weiterhin schweigend bei ihr. Irgendwann begann sie zu weinen, nahm mich in den Arm, meinte, sich entschuldigen zu müssen für die vergeudete Zeit und fiel anschließend in die Arme von Chris. Ich dachte, es sei besser sie für eine Weile in Ruhe zu lassen und verzog mich leise zu Pedro. Wut, Trauer, Verzweiflung… alles kam aus ihm heraus. Er erzählte mir, wo er hätte anders handeln können, fing bei lapidaren Situationen mit meinem Vater an, ging über die Schule bis hin zu der Zeit, wo sich Lena so schlecht fühlte. Er machte sich nieder mit Allem, was ihm einfiel. Dieses Mal war ich es, der die Unterstützung bot.

 

Ped hatte meist das Gefühl, er wäre für alles zuständig. Er wollte Bruder, Vater und Sohn darstellen/ersetzen und in jeder Rolle perfekt sein. Er ließ sich diesen Einstellung nicht nehmen, aber er ließ sich beruhigen. Trotzdem verließen wir bis zum Abend den Raum nicht mehr. Das gesamte Haus wirkte tot. Nichts rührte sich, bis schließlich die Tür bei uns aufging und Lena erklärte, sie wolle nicht, dass wir Tag um Tag nun so verbringen.